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Segmentiertes Gamma-Scanning

4.7 Normen – DIN ISO 11929 in Kürze

In der DIN ISO 11929 werden Vorgehensweisen zur Bestimmung der charakteristischen Größen

  • Erkennungsgrenze y*,
  • Nachweisgrenze y# und
  • Vertrauensgrenzen y und y

für eine nichtnegative Messgröße beschrieben.

Dieser Abschnitt fasst die wesentlichen Punkte zusammen, die zum Verständnis der Anwendung von Messungen aus verschiedenen Bereichen der zerstörungsfreien Charakterisierung radioaktiver Abfälle erforderlich sind. Konkrete Anwendungen finden sich in anderen Abschnitten (Anwendung auf Messungen in offener Geometrie).

Messgröße

Mittels einer Messung ist einem physikalischen Effekt eine nichtnegative Messgröße Y zuzuweisen. Die Größe Y wird als Schätzer bezeichnet und ist eine Zufallsvariable.

Der aus der Messung ermittelte Wert y für den Schätzer Y ist dann ein Schätzwert für die Messgröße. Zusammen mit der Standardunsicherheit u(y) bildet der Wert y das primäre vollständige Messergebnis für die Messgröße. Ihre Bestimmung basiert auf einer mathematischen Verknüpfung der Messdaten sowie weiterer Informationen durch ein geeignetes (Auswerte-)Modell. Dieses muss in der Lage sein, alle beteiligten Größen zu berücksichtigen.

Allgemeine Modellbeschreibung

Die Messgröße Y ist im Allgemeinen von mehreren Eingangsgrößen Xi abhängig und kann in der allgemeinsten Form durch die Gleichung

\[ Y = G(X_1, X_2, \cdots, X_m) \]

beschrieben werden. Die Funktion G ist das Modell der Auswertung. Durch Einsetzen gegebener Schätzwerte xi für die Eingangsgrößen Xi in diese Modellfunktion ergibt sich das primäre Messergebnis y der Messgröße

\[y = G(x_1, x_2, \cdots , x_m) \]

Anmerkung:
Eine Auswertung ist nur so gut wie das zugrundeliegende Modell. Beschreibt das Modell den physikalischen Effekt nicht ausreichend genau, dann sind die Ergebnisse meist unbrauchbar.

Die zum primären Messergebnis y gehörende Standardunsicherheit u(y) wird über die Beziehung

\[ u^2(y) = \sum_{i=1}^m \left( \frac{\partial G}{\partial X_i} \right) ^2 \cdot u^2(x_i) \]

ermittelt. Voraussetzung für diese Beschreibung ist die wechselseitige Unabhängigkeit der Eingangsgrößen Xi voneinander. In den partiellen Ableitungen der Modellfunktion G sind die Eingangsgrößen Xi durch deren Schätzwerte xi zu ersetzen.

Modell bei Kernstrahlungsmessungen

In Messungen von radioaktivem Material wird die Messgröße Yvarem> mit dem wahren Werte aus den Zählraten des Bruttoeffekts und des Nulleffekts bestimmt. Ein (mögliches) Modell hierfür ist

\[ Y = G(X_1, X_2, \cdots , X_m) = (X_1 - X_2 \cdot X_3 - X_4) \cdot \frac{X_6 \cdot X_8 \cdots}{X_5 \cdot X_7 \cdots} = (X_1 - X_2 \cdot X_3 - X_4) \cdot W \]

mit

\[ W = \frac{X_6 \cdot X_8 \cdots}{X_5 \cdot X_7 \cdots} \]

In diesem Modell wird die Zählrate des Bruttoeffekts (rg = ng/tg) durch die Eingangsgröße X1 und die Zählrate des Nulleffekts (r0 = n0/t0) durch X2 beschrieben. X3 kann ein zusätzlicher Abschirmfaktor sein, X4 ein zusätzlicher Korrekturfaktor für den Untergrund. Alle weiteren Eingangsgrößen Xi (i ≥ 5) sind Kalibrier-, Korrektur- oder Einflussgrößen oder Umrechnungsfaktoren. Ihre Anzahl hängt von der jeweiligen Modellbeschreibung ab.

Der primäre Schätzwert y der Messgröße Y ergibt sich durch Einsetzen der Schätzwerte xi zu

\[ y = G(x_1, x_2, \cdots , x_m) = (x_1 - x_2 \cdot x_3 - x_4) \cdot w = \left( \frac{n_g}{t_g} - \frac{n_0}{t_0} \cdot x_3 - x_4 \right) \cdot w \]

mit

\[ w = \frac{x_6 \cdot x_8 \cdots}{x_5 \cdot x_7 \cdots} \]

Durch Einsetzen der Schätzwerte xi, w und y in die partiellen Ableitungen

\[\frac{\partial G}{\partial X_1} = W, \quad \frac{\partial G}{\partial X_2} = -X_3 \cdot W, \quad \frac{\partial G}{\partial X_3} = -X_2 \cdot W, \newline \frac{\partial G}{\partial X_4} = -W, \quad \frac{\partial G}{\partial X_i} = (-1)^i \frac{Y}{X_i} \quad (i \geq 5) \]

ergibt sich für die zu y gehörende Standardunsicherheit u(y)

\[ u(y) = \sqrt{w^2 \cdot \left[ u^2(x_1) + x_3^2 \cdot u^2(x_2) + x_2^2 \cdot u^2(x_3) + u^2(x_4) \right] + y^2 \cdot u_{rel}^2(w)} \newline = \sqrt{w^2 \cdot \left[ \frac{r_g}{t_g} + x_3^2 \cdot \frac{r_0}{t_0} + r_0^2 \cdot u^2(x_3) + u^2(x_4) \right] + y^2 \cdot u_{rel}^2(w)} \]

mit

\[ u_{rel} ^2 (w) = \sum_{i=5}^m \frac{u^2(x_i)}{x_i^2} \]

Die Schätzwerte xi und die Standardunsicherheiten u(xi) für i >3 werden in Vorversuchen experimentell ermittelt oder nach anderen Informationen als Erfahrungswerte übernommen.

Anmerkungen:
  • Werden Schätzwerte und Standardunsicherheiten in Vorversuchen bestimmt, so können Mittelwert und empirische Varianz verwendet werden.
  • Für die Standardunsicherheit u(xi) kann gegebenenfalls auch eine Rechteckverteilung als Varianz verwendet werden. Hat der Bereich der möglichen Werte von Xi die Breite Δxi, dann ist u2(xi) = (Δxi)2/12 .

Berechnung der Standardunsicherheit als Funktion der Messgröße

Für die Bestimmung der Erkennungsgrenze und der Nachweisgrenze wird für die wahre Messgröße (mit ỹ ≥ 0) die wahre Standardunsicherheit ũ(ỹ) benötigt.

Die Vorgabe des wahren Werts ergibt für den Schätzer x1

\[ x_1 = \frac{\tilde{y}}{w} + x_2 \cdot x_3 + x_4 \]

und damit für die wahre Standardunsicherheit

\[ \tilde{u}(\tilde{y}) = \sqrt{w^2 \cdot \left[ \frac{\tilde{y}}{w} + x_2 \cdot x_3 + x_4 + x_3^2 \cdot u^2(x_2) + x_2^2 \cdot u^2(x_3) + u^2(x_4) \right] + y^2 \cdot u_{rel}^2(w)} \]

Hier wurde unterstellt, dass es sich im betrachteten Fall um eine zählende Messung für die Impulse n0 des Bruttoeffekts handelt. Dann kann die Poisson-Statistik unterstellt werden, d. h. es gilt u2(x1) = x1.

Ist diese Annahme nicht erfüllt, sind entweder explizite Berechnungen oder Näherungslösungen anzuwenden (siehe DIN ISO 11929).

Erkennungsgrenze

Das ermittelte primäre Messergebnis y weist nur dann signifikant darauf hin, dass der wahre Wert von Null verschieden ist (d. h. ỹ > 0), wenn es größer als die Erkennungsgrenze y* ist, d. h. es muss gelten: y > y*.

Die Erkennungsgrenze y* wird durch die Beziehung

\[ y^* = k_{1-\alpha} \cdot \tilde{u}(0) \]

ermittelt.

Der vorzugebende Wert α im Faktor k1-α (Quantil der standardisierten Normalverteilung zur Wahrscheinlichkeit) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass trotz der Erfüllung der Bedingung y > y* der physikalische Effekt nicht vorliegt, d. h. ỹ = 0.

Nachweisgrenze

Die Nachweisgrenze y# ist der kleinste wahre Wert der Messgröße, für den mit der vorzugebenden Wahrscheinlichkeit β höchstens angenommen wird, dass der physikalische Effekt nicht vorliegt. Somit ist die Nachweisgrenze der kleinste wahre Wert, der mit dem Messverfahren noch nachgewiesen werden kann. Sie ist die kleinste Lösung der Gleichung

\[ y^{\#}= y^* + k_{1-\beta} \cdot \tilde{u}(y^{\#}) \; \; \mathrm{ mit } \; y^{\#} \geq y^{*} \]

Die implizite Gleichung für die Nachweisgrenze kann analytisch durch Auflösen nach y# bestimmt werden oder durch Iteration (mit dem Näherungswert i für y#)

\[ \tilde{y}_{i+1} = y^* + k_{1-\beta} \cdot \tilde{u}(\tilde{y}_i) \]

mit der Anfangsbedingung 0 = 2∙y*.

Vertrauensgrenzen

Der Vertrauensbereich enthält den wahren Wert der Messgröße mit der vorzugebenden Wahrscheinlichkeit 1-γ.

Bei vorliegendem primären Messergebnis y und der zugehörigen Standardunsicherheit u(y) der Messgröße sind die untere Grenze des Vertrauensbereich y< und die obere Grenze des Vertrauensbereich y> festgelegt durch

\[ y^{\triangleleft} =y - k_p \cdot u(y) \; \; \mathrm{mit} \; p = \omega \cdot \left( 1-\frac{\gamma}{2} \right) \newline y^{\triangleright} =y + k_q \cdot u(y) \; \; \mathrm{mit} \; q = 1- \omega \cdot \frac{\gamma}{2} \]

mit

\[ \omega = \Phi \left[ \frac{y}{u(y)} \right] \]

Die Werte der standardisierten Normalverteilung Φ(t) sind tabelliert.

Beachte: Die Vertrauensgrenzen liegen in der Regel weder zu y noch zu ŷ symmetrisch. Es gilt die Beziehung 0 < y < y.

Bester Schätzwert und Standardunsicherheit

Der physikalische Effekt gilt als erkannt, wenn das primäre Messergebnisses y größer als die Erkennungsgrenze ist (y > y*).

Als bester Schätzwert ŷ der Messgröße ergibt sich dann

\[ \hat{y} = y + \frac{u(y) \cdot \exp(\frac{-y^2}{2\cdot u^2(y)})}{\omega \cdot \sqrt{2\ \pi}} \]

mit der zugehörigen Standardabweichung

\[ u(\hat{y}) = \sqrt {u^2 (y) - (\hat{y} - y)\cdot \hat{y}} \]

Beurteilung des Messverfahrens

Durch Vergleich der Nachweisgrenze y# mit einem vorgegebenen Richtwert yr kann über die Eignung des Messverfahrens entschiedene werden.

Kann die Nachweisgrenze nicht bestimmt werden oder ist y# > yr, dann ist das Messverfahren für den vorgesehenen Messzweck nicht geeignet.