Segmentierung
Bisher haben wir keine speziellen Aussagen über die Position des Detektors zum Behälter gemacht, d. h. wo er sich in Bezug auf eine im Behälter befindliche Strahlenquelle befindet. Dies wollen wir nun nachholen:
Betrachten wir hierzu ein punktförmiges Radionuklid, das sich an der Innenseite des Behälters befindet, für zwei verschiedene Anordnungen:
Anordnung 1: Das Radionuklid befindet sich nahe der Innenseite der Behälterwand, in kürzester Entfernung zum Detektor.
Anordnung 2: Das Radionuklid befindet sich nahe der Innenseite der Behälterwand, in größtmöglicher Entfernung zum Detektor.
Haben Sie es bemerkt?
Anordnung 1 entspricht dem Fall 2, den wir im Abschnitt Schwächung besprochen haben:
Die Gamma-Strahlung muss durch die Behälterwand um zum Detektor zu gelangen, wird also in der Behälterwand geschwächt.
Anordnung 2 wird in der Aufgabe zum Abschnitt Schwächung behandelt (Fall 4):
Das Radionuklid befindet sich wiederum an der Innenseite der Behälterwand, jetzt aber an der dem Detektor entfernteren Seite. Die Gamma-Strahlung muss zusätzlich zur Wand des Behälters auch noch den Weg durch die gesamte Zementmatrix zurücklegen. Die im Detektor gemessenen Impulse werden also deutlich geringer sein als in Anordnung 1.
Diese unterschiedlichen Höhen der Peaks können wir uns anhand gemessener Spektren nochmals genauer ansehen. Mit dem Kalibrationsfass und einer Europium-152-Quelle wurden zwei Gamma-Messungen durchgeführt.
Information:
Für diese Messung haben wir das Radionuklid Europium-152 (Eu-152) verwendet, da es eine Vielzahl an charakteristischen Linien im Energiebereich zwischen 121,8 keV und 1408,0 keV hat.
In der ersten Messung wurde die Europium-Quelle in das Rohr, das dem Detektor am nächsten war, im zweiten Fall in das am weitesten entfernte Rohr, eingebracht. Sehen wir uns die Ergebnisse der beiden Messungen nochmals genauer an. Die Messzeit, d. h. die Dauer der Messung, war in beiden Messungen gleich (7803 Sekunden). Zum besseren Vergleich haben wir die beiden Spektren in einem Diagramm gemeinsam eingezeichnet. Gemessene Gamma-Spektren für eine Eu-152 Quelle in zwei unterschiedlichen Abständen in der Zementfüllung des Kalibrationsfasses. Schwarz: die Eu-152 befand sich im Rohr, das dem Detektor am nächsten war. Rot: die Eu-152 befand sich im Rohr, das die größte Entfernung zum Detektor hatte. Die Messzeit war bei beiden Messungen gleich.
Betrachten wir zuerst das gemessene Gamma-Spektrum für die erste Anordnung, dessen Verlauf in schwarzer Farbe dargestellt ist. Wir können eine Vielzahl an charakteristischen Peaks von Eu-152 über einen großen Energiebereich erkennen.
Vergleichen wir dieses Spektrum nun mit dem Gamma-Spektrum, das in der zweiten Anordnung gemessen wurde (in roter Farbe dargestellt), so fallen sofort folgende Punkte auf:
- Der gesamte Spektrumsbereich ist niedriger (d. h. er liegt deutlich unterhalb der schwarzen Kurve).
- Charaktristische Linien sind nur bei hohen Energien erkennbar
- Die Peakflächen dieser charakteristischen Linien sind deutlich kleiner
Der Grund für diese Unterschiede liegt in der Schwächung, wie Sie vermutlich gleich erkannt haben (wenn nicht, dann empfehlen wir den Abschnitt Schwächung nochmals anzusehen). Was wir hier neu lernen ist, dass die Schwächung durch ein Material umso stärker ist, je geringer die Energie der Gamma-Strahlung ist. Deshalb sehen wir im Gamma-Spektrum für die zweite Anordnung keine charaktertsitischen Linien bei den niedrigen Energien. Die zugehörige Gamma-Strahlung wird im Zement so stark geschwächt, dass sie praktisch nicht mehr den Detektor erreicht.
Im folgenden Video sind die Spektroskopieprogramme während der beiden Messungen dargestellt, um das unterschiedliche Anwachsen der beiden Spektreen für die ersten 150 Sekunden nach Beginn der jeweiligen Messungen zu verdeutlichen. Das eingeblendete kleine BIld oben rechts zeigt den Verlauf der Messung für die ferne Quellenposition, das große Bild das für die detektornahe Quellenposition. Der zeitliche Ablauf der beiden Messungen ist synchronisiert, d. h. ein direkter Vergleich der beiden Spektren ist zu jedem Zeitpunkt möglich.
Wir erkennen ganz deutlich, dass für die detektornahe Quellenposition eindeutig wesentlich mehr Gamma-Strahlung vom Detetkor registriert wird als für die detektorferne Position. Das ist die Auswirkung der Schwächung!
Was können wir aus den bisherigen Betrachtungen noch lernen?
- Die Höhen (bzw. Flächen) der Peaks hängen von den Positionen des Radionuklids im Behälter und des Detektors zueinander ab!
Diese Eigenschaft können wir ausnutzen, um die Verteilung der Radionuklide im Behälter (grob) zu bestimmen, d. h. wo sie sich im Behälter (ungefähr) befinden:
Mit einem Kollimator, der vor den Detektor gesetzt wird, können wir den Ausschnitt begrenzen, aus dem Gamma-Strahlung aus dem Behälter in den Detektor gelangt.
Schematische Skizze der Anordnung von Behälter, Kollimator und Detektor zueinander. Nur Gamma-Strahlung von Radionukliden, die sich im Sichtfeld des Detektors befindet, kann durch den Kollimator zum Detektor gelangen.
Information:
Ein Kollimator besteht aus einem schweren Material (in der Regel aus Blei oder Wolfram), das um den Detektor angeordnet ist und Strahlung nur durch eine Öffnung von außen in den Detektor gelangen lässt.
Dies ermöglicht uns die Durchführung sogenannter segmentierter Messungen: Eine größere Anzahl an Messungen wird durchgeführt, wobei jede Messung an einer anderen Position des Behälters erfolgt.
Beispielsweise können für einen zylindrischen Behälter (z. B. eines dieser gelben Fässer) in 10 Höhenpositionen Messungen durchgeführt werden. Diese Art der segmentierten Messung wird als Vertikalscan bezeichnet: der Behälter wird an einer Stelle über seine Höhe abgescannt (von hstart bis hstop).
Schematische Darstellung eines Vertikalscans (aus Synopsis of Gamma-Scanning Systems)
Der Vertikalscan kann aber zwei Nachteile haben: zum Einen wird bei zu kleiner Kollimatoröffnung der Behälter nicht in seiner vollen Breite erfasst, d. h. radioaktiver Inhalt kann "übersehen" werden, zum Anderen kann über die Verteilung des radioaktiven Inhalts nur eine grobe Aussage gemacht werden, da zwar eine Aussage getroffen werden kann, in welcher Höhe er sich (ungefähr) befindet, aber nicht ob er sich "hinten", "vorne" oder "seitlich" befindet (rufen Sie sich hierzu die Beschreibungen der Fälle 2, 3 und 4 in Erinnerung). Eine quantitative Bestimmung ist somit kaum bzw. nur mit extrem großen Unsicherheiten möglich.
Wird der Behälter aber zusätzlich in jeder Höhenposition zwischen hstart und hstop einmal vollständig gedreht (d. h. um 360°) und während jeder Drehung in gleichen Abständen auch noch Messungen durchgeführt, dann kann man aus diesen Messdaten zusätzliche Informationen über die Verteilung des radioaktiven Inhalts ableiten. Dieses Messverfahren wird als Multirotationsscan oder auch Vielfach-Scheiben-Scan bezeichnet.
Schematische Darstellung eines Multirotationsscan (aus Synopsis of Gamma-Scanning Systems)
Beispielsweise können für einen zylindrischen Behälter (z. B. eines dieser gelben Fässer) in 10 Höhenpositionen jeweils 12 Messungen mit jeweils 30° Abstand zueinander (d. h. eine volle Drehung: 12 · 30° = 360°) durchgeführt werden. Für jede dieser 120 Messpositionen (10 Höhenpositionen · 12 Winkelpositionen = 120 Positionen gesamt) wird das gemessene Spektrum gespeichert, d. h. in diesem Fall haben wir insgesamt 120 einzelne Spektren für die Auswertung (Bestimmung der Verteilung und Menge des radioaktiven Inhalts) zur Verfügung.
Wie wir bereits im Abschnitt Informationen einer Gamma-Messung gelernt haben, können wir anhand der Peaks in einem gemessenen Spektrum die im Behälter enthaltenen Radionuklide identifizieren.
Aufgabe:
Sie haben an einem Behälter einen Multirotationsscan durchgeführt.
Der Behälter hat eine Höhe von 80 cm und sie haben in 11 verschiedenen Höhenpositionen Messungen durchgeführt. Die erste Messung wurde in 0 cm Höhe, die letzte (elfte) Messung in 80 cm durchgeführt. Der Abstand der einzelnen Messungen war immer gleich.
Richtig! Der Abstand zwischen zwei Höhenpositionen im hier betrachteten Fall muss 8 cm betragen.
Nun wissen Sie, wie Sie bei gegebener Behälterhöhe und Anzahl der Höhenpositionen den Abstand zwischen den einzelnen Höhenpositionen bestimmen können.
Jetzt lassen Sie uns die Messdaten genauer ansehen:
Aufgabe:
Sie haben an dem 80 cm hohen Behälter einen Multirotationsscan mit 11 Höhenpositionen in gleichem Abstand durchgeführt. In jeder Höhenposition hat der Behälter eine vollständige Drehung ausgeführt. Jede Drehung war in 15 gleich große Abschnitte unterteilt, für die jeweils ein Gamma-Spektrum aufgenommen wurde. Insgesamt haben sie also 11 × 15 = 165 einzelne Spektren gemessen und abgespeichert. Ganz schön viele!
Richtig! Dieses Verfahren ist sehr effektiv. Allerdings können hierdurch sehr schwache Radionuklide übersehen werden, da sie vom sogenannten Untergrund im Summenspektrum überdeckt werden. Sicherheitshalber könnte man prüfen, ob in den Einzelspektren noch weitere charakteristische Linien enthalten sind (am besten automatisiert mittels Software).
Anmerkung:
Findet man diese Linien nicht auch im Summenspektrum, dann sind sie auch in den Einzelspektren in der Regel so schwach, dass sie selten belastbare Informationen liefern.
Wie wir im Abschnitt Informationen einer Gamma-Messung gelernt haben, können wir anhand der Peaks in einem gemessenen Spektrum die im Behälter enthaltenen Radionuklide identifizieren. Außerdem haben wir gelernt, dass die Position eines Radionuklids im Behälter Auswirkung auf die Höhe der Peaks hat.
Mit einem Multirotationsscan haben wir nun nicht nur ein Gamma-Spektrum an einer Position, sondern wir haben jeweils ein Gamma-Spektrum für viele unterschiedliche Positionen.
Und diese Tatsache können wir ausnutzen und einen speziellen „Trick“ anwenden.